FORM
FARBE GESTE
100
Werke aus zwei Jahrzehnten Malerei von
TM
Rotschönberg
In der Alten Aktienspinnerei werden für zwei Monate Gemälde zu sehen sein, die voller berstender Energie sind. »Die Rigorosität des Ausdrucks überrascht, wenn sie nicht gar für den Moment den Atem stocken läßt ... Hier brennt die Luft!« schrieb vor 11 Jahren Dr. Axel Schöne über diese Bilder. Es ist aber nicht der wilde Griff in die volle Palette und die unkontrolliert wüste Geste des Pinselstrichs, die Malereien dieser Dichte und Sprengkraft entstehen lassen, sondern der wohldosierte Einsatz der dem Künstler zur Verfügung stehenden malerischen Mittel.
TM Rotschönberg heißt dieser Künstler, der mit enormem Aufwand, kühlem künstlerischen Kalkül, z.T. mit Hilfe des Computers pedantisch jede farbliche Nuance festlegend über Jahre, manchmal Jahrzehnte die Komposition optimierend, Gemälde hinkracht, als wären sie einer wilden Gefühlseruption entsprungen. Der Malakt selbst dauert in der Tat nicht lange an, aber es ist die, dem vorangegangene, umfangreiche Konzentration, was den Resultaten die Qualität verleiht. Nicht der Wutausbruch oder die romantische Schwärmerei des Künstlers ist es, was hier zur malerischen Darstellung gebracht wird. »‚Ich male nicht das, was mich beeindruckt, sondern um zu beeindrucken’ sagte mir TM Rotschönberg mit leuchtenden Augen« (Karin Weber, Eröffnungsrede, Ausstellung Blaue Fabrik Dresden, 2002). Und beeindruckt ist man als Betrachter durchaus: jedes Bild ist wie ein gutgemeinter Tritt in den Hintern. Trotz aller Aggressivität in den Farben und dem zum Teil hingepeitschten Duktus, sind die Bilder wirklich sehr schön, aber eben keine einschläfernden Idyllen.
Ein Aspekt, der den Reiz der Bilder ausmacht, ist die vollkommene Willkür der Bildgestaltung. Rotschönbergs Bilder erscheinen mehr oder weniger deutlich als Landschaftsbilder. Daß eine naturgetreue Landschaftswiedergabe dem Künstler keine Freiheit läßt, ist klar, aber das scheinbare Gegenteil — dem formauflösenden Zufall Raum gewähren (wie es oft so schön heißt) — hat ebenso wenig mit Freiheit zu tun. Beides determiniert auf seine Weise das Produkt; und das Gegenteil von beidem ist die kreative Willkür. Genau diese selbstbewußten eigentümlichen Neuschöpfungen, die nicht Landschaftsausschnitte darstellen, sondern landschaftliche Elemente zu Zeichen verdichten, sind es, denen der Betrachter seine Sympathie entgegenbringt. In diesen leidenschaftlichen Kreationen entdeckt man den Künstler als Menschen und zwar einen, den man gewillt ist, kennenzulernen. Einer, der mit analytischem Verstand hochemotionale Bilder malt und auf die Frage, warum er nicht seine Gefühle malt, antwortet, daß er für manche Bilder mehrere Jahre braucht — wer hätte schon mehrere Jahre lang dieselben Gefühle. Dann würde er schon eher Überzeugungen zum Ausdruck bringen.
TM
Rotschönberg wurde 1961 in Karl-Marx-Stadt geboren und auf den Namen Thomas Müller
getauft. Als Kind erwies er sich im Zeichnen und Malen als begabt, und mehrere
schulische und außerschulische Preise stimulierten sein Interesse immer weiter,
jedoch ohne, daß er dabei in Kontakt mit den Zielen moderner oder gar
abstrakter Malerei gekommen wäre. Seine Neigung galt ganz der realistischen
Wiedergabe des Gesehenen. Es ist vielmehr seiner wissenschaftlichen, durch sein
Elternhaus geprägten, Herangehensweise zu danken, daß er sich selbständig
farbliche und kompositorische Gesetze erschlossen hat, was zu einer ausgedehnten
Lust am Experimentieren führte. Dies erzeugte schließlich die Idee, einen
Zyklus der Abstraktionen zu erarbeiten. Rotschönberg formuliert es etwa so:
»Dürers Bild ‚Melancholia’ zeigt eine melancholische Gestalt in einer
melancholischen Umgebung, aber nicht die Melancholie schlechthin, und die
verwendete Allegorie löst in mir keine melancholische Stimmung aus.« Er
glaubte, das Abstrakte bestehe darin, mit malerischen Mitteln erzählerische
Inhalte wie z.B. Gefühlszustände wie Wehmut, Trauer, Hoffnung, Angst usw. für
andere nachvollziehbar zur Darstellung bringen zu können, indem diese Zustände
direkt im Betrachter erzeugt werden — ohne daß der Künstler dabei stehen muß
mit der Erklärung: mit diesem Bild wollte ich dies und jenes ausdrücken ... Voraussetzung
für Solches ist nicht, daß der Künstler diese seelischen Zustände im
Augenblick des Malens empfindet, sondern, daß er sie genau kennt. Rotschönberg,
der damalige Müller, hat sich mit Schriftstellern und Schauspielern darüber
ausgetauscht. Im Frühling 1986 wurde der Zyklus der Abstraktionen gemeinsam mit
anderen formalistischen Experimenten von ihm zur ersten »Echo-Ausstellung«
in Freiberg gezeigt.
Obwohl
das Echo auf diesen Zyklus sehr positiv war: »Diese scheinbar gegenstandslosen
Bilder werden damit vom Inhalt her gegenständlich. Und es ist bemerkenswert,
wie vom Bildimpuls zum Beispiel ‚Optimismus’ her jeder Gesprächspartner diese
Abstraktion subjektiv gegenständlich untersetzte ... konzentrierter als mit
Worten möglich ist.« (Dr. sc. phil. E. Neubert in »Hochschulstadt«),
sollte sich des Künstlers Auffassung über den Sinn des Abstrakten bald darauf
dahingehend ändern, daß er versuchte, Farbton, Flächenausdehnung und
Materialbeschaffenheit der Farbe zu einer maximalen Ästhetik zu bringen. Auch
hatte er zu diesem Zeitpunkt noch die Hoffnung gehegt, über verschlüsselte
Bilder kritische Inhalte an der Zensur vorbeizuschmuggeln, die vom
sensibilisierten Rezipienten wieder dechiffriert werden konnten, ganz im Geiste
von Fühmanns »Saiäns-Fiktschen«. Die damit stattfindende nonverbale
Kommunikation war ihm wichtig. Doch er selbst als Rezipient stand solchen Werken
anderer Künstler oft verzweifelt gegenüber, wenn er nach langem Suchen keinen
Einstieg finden konnte. Es waren die Jahre einer Flut symbolischer Verweise:
Kassandras, Penthesileas, Ikarusse und Medeas bevölkerten die DDR-Gemälde.
Sein Argwohn gegenüber Bildern, die durch metaphorisches Übergewicht
appellieren, sich ihnen primär gedanklich zu nähern und die ihm gleichzeitig künstlich
verrätselt erschienen, wuchs, und er suchte nach Distanz dazu. Der
Auffassungswandel verstärkte seine Lust, kraftvolle und schöne, eben
lebensbejahende Werke zu schaffen. »Also keine Bilder, die uns ständig das
natürliche und künstlich herbeigeführte Absterben der Natur vor Augen führen,
die Zerstörung unserer Umwelt, all die Probleme, das Elend und die Misere, mit
denen wir fast ununterbrochen konfrontiert werden. Das einzige, was der Mensch
nach seiner Meinung - und übrigens auch nach meiner - dagegenzusetzen vermag,
sind Visionen und Utopien, da nur sie Kräfte in ihm freisetzen können, die über
das normale Maß hinausgehen.« (Andreas Hüneke, Eröffnungsrede Ausstellung
Schloß Reinsberg, 1993). So näherte sich seine Malweise gegen Ende 1986 der Brücke-Malerei
um 1910.
Ebenso
faszinierten ihn der Analytische Kubismus, Delauny und Feininger, was zu immer
kristallineren Formgefügen führte.
Im
Verlaufe des Jahres 1987 wurden diese zunehmend fragiler und endeten in einem
ihm selbst unerträglichen Manierismus, so daß er diesen Weg abrupt durch eine
großflächige gespachtelte Malweise abbrach.
Aber
auch das blieb unbefriedigend und erst als er 1988 den Reiz der heftigen Geste
beim Malen entdeckte, gelang ihm eine größere Serie starker und authentischer
Gemälde.
In dieser Zeit hatte er bereits sein Chemiestudium an der Bergakademie Freiberg abgeschlossen, war danach für ein halbes Jahr nach Karl-Marx-Stadt gegangen, um sich aufs Malen zu konzentrieren, dem Angebot einer Aspirantur nach Freiberg gefolgt und stand nun kurz vor der Fertigstellung seiner Dissertation in organischer Chemie. Man muß es als einen äußerst kühnen und entschlossenen Schritt sehen, daß er 1988 den Delegierungsvertrag kündigte und erklärte, daß er nach Abschluß seiner Doktorarbeit als freischaffender Maler arbeiten wird, besonders deshalb, weil für ihn die Möglichkeit einer Promotion keine Selbstverständlichkeit war: bereits in der Grundschule ist er regelmäßig politisch angeeckt, was ihm die Nichtzulassung zum Abitur einbrachte. Dies konnte er nach Erlernung eines Berufes und Armeedienst nachholen. Im darauffolgenden Studium geriet er mit den repressiven etablierten Strukturen und ihren Hütern erneut in beständige Konflikte. Auch der Staatssicherheitsdienst begann sich für ihn zu interessieren. Man holte ihn zwischen 1982 und 1985 zu mehr als 20 Verhören. Professor Emons, der damalige Rektor und spätere Bildungsminister der DDR, äußerte sich in großer Runde dergestalt: »Der Müller promoviert nur über meine Leiche.« Dies alles war für eine geradlinige Karriere nicht gesund und Müller konnte dies nur durch einen starken Leistungswillen gepaart mit großer Liebe zum Fach wettmachen. So erreichte er als Chemiestudent beim Chemikerwettstreit den 13. Platz der DDR und verteidigte seine Promotion mit »magna cum laude«. Ein Resultat, das im Zeitraum von 10 Jahren am Institut für Organische Chemie einmalig war. Es ist bestimmt keine einfach zu beantwortende Frage, warum er daraufhin das so mühsam Gewonnene so leichtherzig aufgab. In der Malerei muß er die große Freiheit gesehen haben.
In seiner philosophischen Arbeit, die zu DDR-Zeiten ein unabdingbarer Promotionsbestandteil war, verfaßte Müller eine 150 Seiten lange Schrift mit dem Titel »Definierung einer gesunden kommunistischen Persönlichkeit aus dem Blickwinkel der Psychoanalyse und deren gesellschaftlich notwendige Rahmenbedingung«. Der Skandal blieb aus — der Untergang der DDR hatte diese Arbeit überholt.
Im
Frühling 1990 zog er nach Obergruna in das Muldental in eine leerstehende
desolate Fabrikantenvilla, um Atelierräume zu haben und begann nach kurzer
Bewohnbarmachung des Gebäudes mit einem übersteigerten Schaffensrausch. Viele
Bilder aus dieser Zeit sind ihm unangenehm, etliche hat er vernichtet. Zu genau
kannte er die Gefahr, von der Natur abzumalen, besonders wenn man sie sehr
liebt. Man klebt zu stark am Vorbild, verliert sich in Details, wählt die
Farben nach realistischem und nicht nach kompositorischem Ermessen und
schlimmstenfalls hat man noch den späteren Rezipienten vor dem geistigen Auge
im Nacken und dessen Verlangen, die einzelnen Dinge auch zu erkennen.
Deswegen
versuchte der Maler, der sich inzwischen Rotschönberg nannte, aus abstrakten
farblichen, formalen oder perspektivischen Gesichtspunkten Gemälde zu
konstruieren und diese Konstrukte dann so zu gestalten, daß sie landschaftlich
interpretierbar sind. Damit wird zwar eine viel höhere künstlerische Willkür
erreicht, doch im ungünstigen Fall wirken diese »Landschaften« erzwungen.
Hier tritt noch eine andere Schwierigkeit hinzu: Landschaftsgemälde
unterscheiden sich leicht schon durch das Vorhandensein markanter Objekte
voneinander, ohne daß man bemerken würde, wie ähnlich sie sich kompositorisch
doch sind. Wesentlich schwerer ist es, diese Unterschiede herzustellen, wenn die
Komposition — sich landschaftlicher Elemente bedienend — stärker zu einem
Zeichen verdichtet werden soll, das prägnant, packend und einprägsam ist.
Es
ist klar, daß der Inhalt des Bildes »Zwei gekreuzte Baumstämme« gerade
nicht in den gefällten Stämmen und dem Waldstück besteht, sondern in dem
willkürlich gesetzten roten Kreuz. Der Rest dient zur Verschleierung dieser
Tatsache und hängt dem eigentlich abstrakten Bild ein kleines Schafsfell über.
Ein anderes Gemälde mit einem ähnlich großen Kreuz, selbst einem grünen, würde
schnell als Kopie verurteilt werden.
Da ist es schwer ein Bild und noch ein zweites daneben zu stellen mit gleichermaßen individueller Charakterstärke. Genau hierin dürfte das Problem der Kreativität liegen: man kann es nicht auf Bestellung und als Massenware fertigen. Rotschönberg hat sich auch nicht darauf einlassen wollen, eine Grundidee immer wieder auszubeuten und die Resultate als Serie zu deklarieren. So hatte er oft befürchtet, daß er schon alle Trümpfe ausgespielt hat und daß ihm keine grundlegend neuen Kompositionsideen kommen werden.
Aber
nicht das, sondern seine überbordende Begeisterungsfähigkeit war der Grund dafür,
daß er sich 1991 auf die Idee einließ, das sich auf seinem Grundstück
befindende Wasserkraftwerk zu revitalisieren. Jahre hat er intensiv an diesem
Projekt gearbeitet: Hydrologische Studie, Konstruktionspläne für den Neubau
des Wehres, Uferrenaturierung, die Mühlgräben hatte er neu gemauert, die
Turbine z.T. überholt. »...- die Baugenehmigung für das Wehr fehlt noch.
Ironie des Schicksals: für seine Planung erhält er einen Preis, aber keine
Baugenehmigung« (Kersten Storch, Text im Buch Malerei Rotschönberg 1989 —
1996). In der Zwischenzeit hatte er sich soweit mit der Materie beschäftigt, daß
er für drei weitere Wasserkraftwerke die hydrologischen Studien erarbeitete und
das optimale Schluckvermögen der einzusetzenden Turbinen mittels eines
selbstgeschriebenen Programms berechnete. Nach 6 Jahre langem zermürbenden
Kampf mit den Behörden machte er sich bewußt, daß er den Chemikerkittel nicht
für solchen Lebensentwurf an den Nagel gehängt hatte. Vielleicht mag Rotschönberg
geglaubt haben, von der Energieeinspeisung des Wasserkraftwerkes leben zu können
und seine Malerei damit finanziell abzusichern, doch nun hatte er die
schmerzliche Erkenntnis, eine Investruine mit seiner Malerei finanziert zu
haben. Aber es war auch ein geistiger Gewinn, der sich damit verband. Die
technische, finanzielle und rechtliche Seite des Projektes fand er interessant,
doch besonders lag ihm sein landschaftspflegerischer Begleitplan am Herzen: er
hatte sich mit größter Hingabe der Pflege und Erweiterung von Biotopflächen
gewidmet. Genau in den Zeiten des Kampfes Naturschutz gegen Wasserkraft
arbeitete er auf beiden Seiten und suchte nach ehrlichen und wirkungsvollen Aussöhnungsvarianten.
Genau das entspricht seiner Hauptmotivation: die Synthese.
Selbstverständlich muß der Synthese eine Analyse vorangehen, doch es ist ein typisches Symptom unserer postmodernen Gesellschaft, daß die analytisch gewonnenen Erkenntnisse spartenspezifisch belassen werden, daß Widersprüche nicht in ihrer Dialektik aufgehoben werden, sondern als antagonistisch erklärt und durch politische oder wirtschaftliche Randbedingungen entschieden werden. (Nehmen wir z.B. die Frage nach den wirklich angeborenen Bedürfnissen des Menschen.) Die fieberhaft sich in technische Tiefe entwickelnde westliche Gesellschaft muß unweigerlich immer mehr Spezialisten hervorbringen, die die Folgen ihrer Früchte auf anderen Sektoren kaum noch abschätzen können und es entsteht der Teufelskreis: die Unfähigkeit, Verantwortung übernehmen zu können, führt in die Flucht zu weiterer Spezialisierung. Rotschönberg meint, um verantwortlich richtige Entscheidungen treffen zu können, muß man auf der Gegenseite mitgearbeitet haben, um diese in Aspekten zu bejahen oder zu verneinen — allein nur ein Verständnis aufzubauen könne auch opportunistisch motiviert sein. So sucht und praktiziert er ein Leben aus geistiger und schwerer körperlicher Arbeit und sowohl musischer als auch wissenschaftlicher Betätigung, motiviert durch traditionelle und moderne Ideen.
Und es waren manchmal sogar wissenschaftliche Überlegungen, die ihn zu Bildideen führten. So ging z.B. dem Gemälde »Abend am See« folgender Gedankengang voraus: Daß der Farbton auch Träger physikalischer Größen ist, wie heiß und kalt, nah und fern, dicht und dünn, schwer und leicht, ist allgemein klar. Aber man kann Farbtöne auch mit Viskosität assoziieren; niemand wird glauben, daß Ocker dünnflüssig ist oder ein helles Türkis hochviskos. All diese Eigenschaften sind nicht unwesentlich beim Gestalten von Bildern. So stellte Rotschönberg eines Tages die Überlegung an, ob Schwarz — eine sehr schwere Farbe — auch eine Art optische Gravitationskraft ausüben kann und ob in einem Gemälde, welches von einer zentralen großen schwarzen Fläche dominiert wird, diese auf ihre Umgebung anziehend wirkt, so daß eine Bildstabilisierung erreicht wird. So etwas dient dem Maler natürlich nur als Einstiegsidee und im weiteren Malprozeß konnte solch eine Idee soweit deformiert werden, daß sie nur noch rudimentär vorhanden war. Im genannten Bild tritt sie uns als eine dunkle Wolke in Erscheinung, die sich vor einen Sonnenuntergang schiebt, der sich in einem See spiegelt.
Im
Jahre 1995 griff Rotschönberg nochmals das Thema der Wehmut auf, welches ihm
mit rein farblichen Mitteln im Zyklus der Abstraktionen nicht gelang, denn, wie
er sagt, empfindet er dieses Gefühl als sehr zwiespältig. Ein Gemisch aus
Freude und Trauer: wenn man etwas Glückliches erlebt und sich über dessen
baldiges Ende bewußt wird, oder es allein erlebt und mit niemandem teilen kann,
oder ahnt, daß man es vergessen wird, es nicht angemessen konservieren kann.
Mit
dem Bild: »Das grüne Licht im Wald« wollte Rotschönberg die Zwiespältigkeit
solcher divergierender Gefühle zwar nicht direkt zur Darstellung bringen, aber
beim Betrachter erzeugen, damit das Gemälde von einer gewissen Stimmung
getragen wird. Er nutzte dabei folgende Überlegung: mithilfe vieler dominanter
Linien wird ein eindeutiger Fluchtpunkt erzeugt, der deutlich außerhalb des
Bildes liegt. Die Bewegung dorthin wird durch einen Rhythmus vieler Vertikalen
unterstützt. Somit wird der Blick des Betrachters wieder aus dem Bild
herausgeschleudert (welches üblicherweise ein klarer Fehler ist). Wenn aber
fast das gesamte Bild nur aus dem Spektrum von Rotorange bis Violett besteht,
entsteht ein solches Gründefizit, daß durch den Simultankontrast selbst ein
grauer Fleck grünlich wirken würde, und ein grüner Fleck zum Leuchten erregt
wird. Dieses vibrierende Grün erreicht eine solche Attraktivität, daß der
Betrachter zwar den Sog zum Fluchtpunkt spürt, aber nicht dorthin gelangt. Das
Bild erhält einen rätselhaften, geheimnisvollen, aber auch wehmütigen
Charakter. Hier zeigt sich auch das Problem der photographischen und
polygraphischen Wiedergabe: schon kleine Farbverschiebungen greifen in die
Komposition ein und können auch die Stimmung verändern: ein paar Prozent mehr
Gelbanteil im Violett des Himmels macht sie trauriger, etwas weniger Gelb dort
gibt dem Bild einen pathetischen Klang.
Obwohl
Rotschönberg der ausdrucksstarken und romantischen Grundhaltung der
Expressionisten und Fauvisten sehr nahe steht, sieht er dennoch die informelle
Malerei als den bisherigen Höhepunkt einer stringenten Entwicklung an, deren
treibendes Moment die Emanzipation der malerischen Mittel von der Funktion,
sichtbare Realität wiederzugeben, ist. Einige Meilensteine seien hier genannt:
Van Gogh befreite den Farbton von der Lokalfarbe zugunsten der Steigerung ästhetischer
Reize. Matisse zerstörte die Tiefenillusion des Bildes. Kandinsky überwand den
aus der Realität bekannten Gegenstand, blieb aber noch bei der Verwendung von
Formen und nutzte die Farbe ihres Farbtons wegen. Die informelle Malerei wollte
die unkontrollierbare, schnelle Geste aufzeichnen und verzichtete damit auf die
Form an sich. »Informelle Malerei« ist jedoch, wie Rotschönberg meint, eine
bürgerliche Bezeichnungsweise, die das Augenmerk darauf legt, von was man sich
dabei befreite und nicht zu was. Die eigentliche Entdeckung sei nämlich die der
Farbe als Materie, die je nach ihrer eigenen Beschaffenheit und andererseits
durch den Prozeß des Auftragens dem Gemälde seinen Charakter verleiht (also,
ob die Farbe dünnflüssig oder breiig ist, ob sie getröpfelt, gespritzt oder
verschmiert, mit einem Besen oder einem Rakel aufgetragen wird). Nun stellt sich
Rotschönberg die berechtigte Frage, ob, wenn einmal das Opfer gebracht wurde
— der Verlust der Form — , um zu der Erkenntnis der Farbmaterialität zu
gelangen, dies danach auch weiterhin gebracht werden muß und sieht einen für
ihn interessanten Entwicklungsaspekt darin, seine konstruktivistischen Ansätze
mit der informellen Geste zu verschmelzen bzw. in die informelle Malerei die
Form, und zwar eine möglichst prägnante, wieder einzuführen. Auch wenn er
diese Ansätze seit 1991 mehrere Male zu verwirklichen suchte, gelang ihm 1996
ein erstes starkes Gemälde mit »Sonnenuntergang in Mirleft«.
Sonnenuntergang in Mirleft, 85 x 103, 1996
Noch
eindrucksvoller sind die Resultate von 2006, bei denen Rotschönberg, das große
Format nutzend, auch entsprechend große Werkzeuge (Glättekelle, Handfeger,
Zwei-Meter-Wasserwaage) zum Einsatz brachte und damit eine entsprechend heftige
Geste erreichte.
Wenn
die Synthese als Ziel erklärt wird, dann stellt sich damit auch die Frage nach
der zulässigen Heterogenität. Rotschönberg sieht die einzelnen stilistischen
Epochen mehr oder weniger als Analysen an, die unter der jeweils herrschenden
Geisteshaltung Einzelaspekte zum bildbestimmenden Inhalt machten und im Ergebnis
künstlerische Werkzeuge etablierten. Nun kann durchaus der selbstbewusste
Gebrauch all dieser Werkzeuge beabsichtigt werden, wobei damit noch nichts Neues
entsteht, würde man sie in postmoderner Manier aneinander stellen. »Die
Synthese verschmilzt nicht die Erscheinungen, sondern die Wesen der Dinge, so
wie Wasserstoff und Sauerstoff erst durch chemische Reaktion einen neuen und
homogenen Stoff bilden.«
(TM Rotschönberg, Einleitung zum Katalog: Form - Farbe - Geste, 1999)
Landschaft bei Agdz, 85 x 103, 1997
Das
Gemälde »Landschaft bei Agdz« zeigt zwei Dreiecke, die einen
jugendlich-schrillen Kontrast (Gelbgrün und Hellviolett) quasi auf die Spitze
treiben. Dieses Kontrastpaar wird in reiferer Farbgebung (dunkles Weinrot und
dunkles Olivgrün in der Baumkrone) wiederholt. Als wolle sich noch ein männlich-weiblich-Kontrast
hinzugesellen, wird das Bild von Ornamenten gesäumt. Das scharfkantig
orangerote Geflecht kann noch als Wege zwischen Beeten gedeutet werden, während
die weichen ornamentalen Linien im oberen Gelb kaum Wolken hergeben. Sie bleiben
autonom, das Bild wirkt daher heterogener als andere, erhält aber durch die
damit verbunden Willkür seinen Reiz.
Es
ist interessant, wie sehr sich diese doch recht komplexe Auffassung über
Synthese oder Mixtur, Homogenität oder Heterogenität auch in Rotschönbergs
Musikgeschmack, aber auch in anderen Auffassungen über das Leben (z.B.
Architektur) wiederspiegelt. In erster Linie ist er vom Free-Jazz und
Experimental-Rock der späten 60er Jahre inspiriert, doch für ihn liegen die
musikalischen Höhepunkte bei King Crimson von »Larks’ Tongues in Aspik«
bis »Red«, bei Soft Machine »Third«, »Fourth« und »Noisette« und
vor allem bei Keith Tippett’s Ark mit »Frames«. Es ist Musik, der es
gelingt, die größten vorstellbaren Gegensätze entweder zu kontrastieren oder
zu fusionieren und doch immer eine gewisse Homogenität zu ereichen. Egal wie
aggressiv oder zart King Crimson sich gebärdet, jede Minute klingt nach King
Crimson und egal, wie meditativ-flächig oder wild in den Free-Jazz ausbrechend
Soft Machine spielt, es ist typisch Soft Machine. Hier wurde wirklich Neuland
betreten und durch die Verschmelzung der Ideen der avantgardistischen E-Musik
mit der Hitze des Free-Jazz und der Kraft des elektrischen Rock-Instrumentariums
wurden Spannungsweiten und Dramatisierungen möglich, zu denen keines der
einzelnen Genres allein vorher fähig war. Genau wie man hier sagen kann, der
eigentliche Inhalt dieser Musik ist die Intonation eines Dramas, kann bei Rotschönberg
von einer malerischen Visualisierung des Dramas gesprochen werden. Es geht dabei
nicht um ein konkretes Drama, welches irgendwann stattgefunden hat, sondern um
das Drama an sich.
Das brennende Parlament, 93 x 103, 1999
Viele
Gemälde von Rotschönberg sind hochdramatisch, aber beim »brennenden
Parlament« hat es das Drama wirklich gegeben. Es stellt sich die Frage, ob
William Turner selbst irgendwelche starken Emotionen mit seinem Gemälde verband
oder es ihm nur willkommenes Motiv war. Rotschönberg jedenfalls duldet eine
gewisse Mehrdeutigkeit. In erster Linie geht es ihm schon um die Schaffung eines
abstrakt-dramatischen Gemäldes, aber die Freude über brennende Parlamente kann
auch eine gewisse Haltung verraten, die überdies noch durch Ironie angereichert
wird, denn der eigentliche Grund für den Ausbruch des Brandes war eine Art
Steuerreform, nämlich das Verbrennen der Kerbhölzer auf dem Innenhof des
Westminster-Palastes. Diese Ironie wird vor allem getragen durch die als Qualm
entweichende Fledermaus — Jüngere mögen eher Batman darin sehen.
Mond und Sturm, 93 x 103, 1999
Das
Gemälde »Mond und Sturm« zeigt neben dem Drama weitere Eigenheiten Rotschönbergs
Malerei: ein frech-witziges Moment, wenn man sich vorstellt, wie der Mond auf
dem Rücken des Sturmes abrutscht, angestrebte Monumentalität der Komposition
und eine konstruktivistische Einstiegsidee: der Vordergrund (Sturmbogen) war
anfangs ein in der Mitte aus der Bildfläche heraustretender Bogen vom Violett
über Rot, Orange zum Gelb und über Orange, Rot zum Violett zurück auf einem
Hintergrund von Violett über Blau zum Cyan und über Blau zum Violett zurück,
so daß sich beide an den Rändern im Violett trafen und in der Mitte mit Cyan
und Orange der größte Abstand und Bildtiefe erreicht wurden. Beim lebhaften
Malprozeß werden solche Ideen dann oft deformiert, und dennoch reichen die
Rudimente aus, um das Bild zu tragen.
Jenes Bild wurde im Jahre 1999 geschaffen. In diesem Jahr organisierte er mit Freunden auf Schloß Augustusburg die große Gemäldeausstellung Form-Farbe-Geste, an der Künstler wie Angela Hampel, Steffen Fischer, H.-H. Grimmling, Andreas Dress u.a. teilnahmen. Zur Eröffnung hatte er das Theaterstück »Die Fliegen« von Jean-Paul Sartre ausgewählt, außerdem erfolgten zwei Konzerte. Und hier ist es wiederum ein Zeichen für die Begeisterungsfähigkeit von Rotschönberg, daß er dafür die ehemaligen Musiker der Formation Soft Machine, die sich mehr als 20 Jahre zuvor aufgelöst hatte, gewinnen konnte. Daß diese Gruppe von da an bis heute wieder regelmäßig Konzerte gibt, zeigt, wie zündend diese Idee war. Das zweite Konzert war ein Orchesterwerk zeitgenössischer Musik, für das Rotschönberg die Komposition geschrieben hatte.
Großer Baum im Anti-Atlas, 206 x 266, 2007
Auch
eine enorme Monumentalität besitzen die Formen im Gemälde »Großer Baum im
Anti-Atlas«, die durch dessen Größe noch verstärkt wird. Diese Komposition
wurde wie viele andere am Computer entworfen und einem langen
Transformationsprozeß unterworfen. Hier hat Rotschönberg verschiedene Bögen
so lange kombiniert, bis eine wohlaustarierte Spannung in majestätische Ruhe
gebracht wurde.
Dampfer im Sturm, 266 x 412, 2007
Das
Bild »Dampfer im Sturm« hat nicht mehr viel mit Turners Vorlage zu tun.
Dieses Riesenformat ist eine Symphonie der unterschiedlichen bisher besprochenen
Ansätze. Die extrem verkleinerte Abbildung in diesem Heftchen kann natürlich
nicht viel wiedergeben und ersetzt keinesfalls einen Ausstellungsbesuch.
Im
Katalog des Kulturraums Mittelsachsen werden Künstler nach ihrem Anliegen
gefragt. Rotschönberg: »Hier liegt der Ausgangspunkt meines Bemühens, nämlich
der bewußte Gebrauch der befreiten künstlerischen Mittel zur Schaffung eines
Gebildes allgemeingültiger Ästhetik, einer ,reinen Malerei’, deren Inhalt
ein malereiimmanenter ist, gleichgültig, ob das Resultat gegenständlich
interpretiert wird. Während aus künstlerischem Blickwinkel das legitim und
hinreichend erscheint, ahne ich, daß dies mir vorerst nur als Übung dient,
denn Blickwinkel ist das eine, aber Motiviertheit das andere, und diese kann ich
nicht auf eine rein künstlerische eindämmen. Ich wäre am Ziel, sollte es mir
einst gelingen, ein politisches Bild zu malen, das von dem genannten Ursprung
her kommt und darüber hinaus als Waffe in seiner Schönheit für und seiner
Kritik gegen etwas tauglich ist.« Im Jahre 2008 hatte Rotschönberg wieder
eine Ausstellung Form-Farbe-Geste mitorganisiert. Neben einigen Künstlern von
damals waren Helmut Sturm, Heino Naujoks, G.-T. Kozik, Werner Liebmann u.a.
dabei. Im Saal von Rotschönberg hingen an einer Wand drei großformatige Gemälde
nebeneinander. Der erste Eindruck war überwältigend schön: kraftvoll, farbig,
dramatisch. Dann sah man auf dem rechten Störendes: eine Brücke stürzte ein,
alles ging in Flammen auf, ein Flugzeug flog davon, kaum zu erkennen. Näherte
man sich dem Bild weiter, um den Titel zu lesen, fand man einen höchst
bedrohlichen Standort: mitten im Wasser, das wie Feuer spritzte, der restliche
Brückenbogen weit über dem Kopf drohte hinabzustürzen. Man fand sich als
Opfer einer Kriegssituation wieder. Nun konnte man den Titel lesen:
»Vorbereitung
der Aufbauhilfe« und mußte sich damit abfinden, daß das Bild wiederum seine
Aussage gewechselt hatte: wir sind nicht die Opfer — wir sind die Täter. Mit
diesem Gemälde hat der Künstler sein angegebenes Ziel berührt.
Fast
20 Jahre wohnt Rotschönberg nun in Obergruna. Neben seiner Malerei hat er die
Villa und das 40.000 Quadratmeter große Gelände zu einem wunderschönen
Anwesen entwickelt. Das Jugendstilhaus, das einst mehrere Familien beherbergte,
hat er in Eigenleistung weitgehend umgebaut. Er hat kein Museum daraus gemacht
und auch moderne Bauelemente verwendet, aber so einfühlsam, daß es kein Wunder
ist, wenn ältere Leute, die den Wanderweg durchs Grundstück nutzen, stehen
bleiben und behaupten, sie könnten sich noch von früher an dieses und jenes
erinnern und das sei wohl jetzt wieder freigelegt worden.
Und
in diesen 20 Jahren hatte er versucht, die Farben seiner Malerei zur stärksten
Leuchtkraft zu steigern, weil er es als eine Herausforderung angesehen hatte,
diese sich selbst behaupten wollenden Farben wieder zu Harmonie und Stille zu
zwingen.
In den letzten Gemälden zeigen sich außergewöhnlich gedämpfte Farben (»Ait Mansour«). Denn, daß es auch plausible Gründe gibt, Dinge zu tun, die keine Herausforderung sind, hat er erst spät begriffen.
Ait Mansour, 116 x 164, 2009
Autoren: Antonina und Sixten Bussemer, 2009
TM
Rotschönberg
1961
in Karl-Marx-Stadt geboren
1977-79 Lehrausbildung Facharbeiter für chemische Produktion
1979-80
Armee
1980-81
Abitur an der ABF
Freiberg
1981-86
Chemiestudium an der
Bergakademie Freiberg
seit
1986 regelmäßige
Einzelausstellungen
1986-87
Arbeit als Anlagenfahrer
1987-90
Aspirantur an der
Bergakademie Freiberg
1990
Promotion
in organischer Chemie
seit
1990 freischaffender Maler in
Obergruna
1997
erscheint
Bildband
"Malerei Rotschönberg von 1989-1996«